Freigänger vs Stubentiger

 

Immer mehr Menschen entschließen sich zur reinen Wohnungshaltung aus den verschiedensten Gründen.

Häufig ist die Wohnsituation in der Stadtwohnung der Grund aber auch einfach die Angst vor den Gefahren, die draußen lauern. Dies wäre zum einen der Straßenverkehr, der in der Tat nicht außer Acht gelassen werden sollte, aber auch die Angst vor Tierschänder oder auch die oft genannten Tierfänger.

Allerdings bin ich der Meinung, man sollte sich dann zuvor die Frage stellen, ob die EHK-Katze überhaupt das richtige Haustier für einen ist, ob die Angst begründet ist oder die Haltung nicht aus egoistischen Gründen angestrebt wird.

 

Dazu zunaächst ein paar Fakten:

Die EHK-Katze, ein selbst domestiziertes Raubtier, ein Jäger ausgestattet mit hochsensiblen Sinnesorganen, die es ihnen ermöglicht ihre Beute aus hohen Distanzen ausfindig zu machen.

Eine Anatomie, die sie befähigt auf schmalen Graden zu balancieren, sich geschmeidig, elegant und nahezu lautlos anzuschleichen und eine explosive Sprungkraft und Schnelligkeit, die jeden Profisportler vor Neid erblassen lassen könnte.

Dies alles ist eine Vollausstattung, von der Natur gegeben und verlangt danach, körperlich und geistig befriedigt zu werden.

 

Das Revier der frei lebenden, sogenannten Bauernhof Katzen, besteht aus zwei unterschiedlichen Zonen. Die Kernzone in der geschlafen, die Beute zerlegt und die jungen groß gezogen werden. Diesen Bereich teilen sich je nach Ressourcen mehrere, meist miteinander verwandte Kätzinnen, die dort in der Regel ein friedliches Miteinander pflegen, wie man es oft auf Bauernhöfen beobachten kann. Kater leben eher am Rand der Gruppe, gehören aber nicht selten mehreren Gruppen an.

Ausserhalb der Kernzone beginnt das Streifgebiet, das bis zu 3 qkm groß sein kann. Dies dient als Jagdrevier, welches durch tägliche Streifzüge abpatrouilliert wird. Diese Gebiete überschneiten sich oft mit benachbarten Gruppen, weshalb es wichtig ist, seine Stellung und Besitzansprüche durch Reviermarkierungen zu kennzeichnen. Dies geschieht durch gezieltes Setzen von Duftstoffen wie Absetzen von Kot und Urin, Köpfchen reiben an Gegenständen und nicht zuletzt auch das „Krallen wetzen“ an strategisch wichtigen Stellen. Dabei wird nicht nur durch Druüsen an den Pfoten Geruchsstoffe verteilt, sondern auch ein sichtbares Zeichen der Reviergrenze gesteckt.

 

So wir fassen zusammen: Laufen, rennen, springen, klettern, anschleichen, lauern, jagen, verstecken, sehen, riechen, schmecken, markieren.

Können wir all diese natürlichen Bedürfnisse der Katze in reiner und reizarmen Wohnungshaltung erfüllen?

 

Stellen Sie sich dazu ein paar Fragen.

Wie viele Runden müssen die Katzen in Ihrer Wohnung drehen, um mindestens 1 km zu erreichen?

Welche Möglichkeiten bietet Ihr Haushalt den Katzen an, um drauf oder drüberzuspringen?

Gibt es Stellen, an denen Ihre Katzen mit vollem Körper- und Kralleneinsatz klettern können?

Wie viel Zeit können Sie aufbringen, um mit ihren Katzen zu spielen, Jagd- und Lauerspiele?

Wollen Sie genügend Beobachtungs- und Liegeplätze schaffen, auch wenn dafür Fensterbänke und Regale ohne Dekoration auskommen müssen?

Was können Sie tun, um Ihre Katzen das Futter erarbeiten zu lassen?

Wie viele Toiletten sind Sie bereit anzubieten?

 

Das sind Fragen, die man sich unbedingt stellen sollte, bevor man sich zur Katze in reiner Wohnungshaltung entschließt. Der Anspruch an das Zuhause und die Konsequenz, die Wohnung so katzengerecht wie möglich zu gestalten, ist bei Stubentigern um ein Vielfaches höher. Was aber nicht heißen soll, dass man alle Punkte bei Freigängern komplett vernachlässigen sollte. Die Bereitschaft ein paar Dinge „für“ die Katzen zu verändern sollte in jedem Fall vorhanden sein.

 

Dies wäre in erster Linie die Barrierefreiheit, wenn möglich ALLE Zimmer frei zugänglich zu machen.

Möglichkeiten auch die Raumhöhe durch Anbringen von sogenannten Catwalks auszunutzen.

Umgestalten der Einrichtung damit Katze ihren Kratzbaum oder Liegefläche an der für sie richtigen Stelle hat.

Aufstellen von Toiletten auch an Orten die den Toilettengang für die Katze angenehm machen, auch wenn es nicht in das optische Gesamtkonzept der Wohnungseinrichtung passt.

 

Ein gesicherter Balkon oder Garten ist mit Sicherheit eine gute Zwischenlösung, was aber oft ein nicht unerheblicher Kostenpunkt und eine Einschränkung in die eigene „Freiheit“ bedeutet.

Sicherlich gibt es Rassen, die für Wohnungshaltung mehr oder weniger besser geeignet wären, weil die natürlichen Instinkte nicht mehr so ausgeprägt sind, aber gerade unsere Katzen aus dem Tierschutz sind meist Nachkommen von verwilderten Hauskatzen, wo all diese Instinkte und Bedürfnisse noch sehr präsent sind.

 

Mein persönliches Anliegen besteht darin, einen Anstoß zu geben sich schon im Vorfeld ein paar Gedanken darüber zu machen wo das Tier herkommt, welche Bedürfnisse es hat und ob man denen gerecht werden kann. Im Zweifelsfall sich immer im Sinne des Tieres zu entscheiden, auch wenn dies bedeutet kein Tier zu halten.

 

Um das Thema zu vervollständigen, möchte ich die Wohnungshaltung aus Naturschutzgründen was den Bestand der Singvögel und Kleinnager betrifft, selbstverständlich nicht außer Acht lassen. Dazu möchte ich gerne auf einen Artikel der NABU verweisen, der auch meine Meinung dazu widerspiegelt.

https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/gefaehrdungen/katzen/15537.html

Auch hier wird die Anzahl verwilderte Hauskatzen und deren unkontrollierte Vermehrung als Hauptproblem gesehen und nicht der einzelne Freigänger, was uns wiederum in unserem Tun bestärkt, eine Kastrationspflicht für Freigänger unbedingt anzustreben.

 

Eure Katzenhilfe Claudia Wößner